Die Entstehung der Welt
(aus der Sicht der alten Germanen zur Zeit Corax´s)
Am Anfang waren Kälte und Hitze. Auf der einen Seite die Gegend Niflheim (Nebelheim) mit Frost und Nebel.
Auf der anderen Seite Muspellsheim, ein Meer von lodernden Flammen. Zwischen ihnen war nichts. Nur eine große, gähnende Schlucht, Ginnungagap. Hier in dieser gewaltigen Leere mitten zwischen Licht und Dunkel sollte alles Leben seinen Anfang nehmen. In der Begegnung zwischen Eis und Feuer... Denn langsam begann der Schnee zu
schmelzen, und geformt von der Kälte, aber von der Hitze zum Leben erweckt, entstand ein seltsames Wesen der Frostriese Ymir. Ein größerer Riese hat nie gelebt.
Da, wo das Eis schmolz, formten die Tropfen auch ein anderes Wesen eins mit Euter und Hörnern, eine riesige Kuh. Sie hieß Audhumla. Ihre überreichliche Milch floß in mächtigen Strömen aus ihren gewaltigen Zitzen. Auf diese Weise fand Ymir Nahrung. Aber wovon nährte sich die Kuh? Sie beleckte die in ihrer und des Riesen Umgebung
umherliegenden Eisblöcke, die salzig waren. Dann aber geschah etwas Merkwürdiges: Als sie die Blöcke beleckte, kam aus einem von ihnen plötzlich langes Menschenhaar hervor! Am nächsten Tag kamen ein Kopf mit einem Gesicht hervor! Und am dritten Tag legte sie beim Lecken den ganzen Körper frei... Es war ein Mann. Er war hochgewachsen und schön. Buri war sein Name - und von ihm stammen die Götter ab, die wir Asen nennen.
Der Riese Ymir bekam Kinder mit sich selbst. Als er schlief, fing er an zu schwitzen... und da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib. Ymirs Beine wollten seinen Armen offensichtlich in nichts nachstehen... seine Füße paarten sich, und ein Sohn mit sechs Köpfen wurde geboren. Das ist der Ursprung der Geschlechter der Hrimthursen, die wir Trolle und Riesen nennen können, die wir jedoch auch unter dem Namen Jöten kennen.
Den verschiedenen Geschöpfen muß es lange gelungen sein, in Frieden miteinander zu leben. Sie bekamen jedenfalls Kinder miteinander... Odin er, der später aller Götter Oberhaupt wurde ist der Sohn der Riesen-Tochter Bestla und von Bur, dem Sohn von Buri. Es wimmelt sozusagen von Jöten. Und eines Tages üben Odin und seine
Brüder Wili und We den Aufstand gegen Ymir und sein Geschlecht. Es kommt zu einem schweren Kampf; Odin und seine Brüder aber siegen. Sie töten Ymir und aus seinen Wunden ergießen sich Ströme von Blut über die Feinde der Asen, in denen sie nahezu alle ertrinken... alle, bis auf zwei. Von diesem Riesen-Paar, das in die Nebelwelt
flüchtet und sich dort versteckt, stammen alle späteren Hrimthursen-Geschlechter ab... Auch Audhumla die erste Kuh muß über die Kante in den Abgrund hinuntergespült worden sein, denn nach diesem Blutbad hat nie wieder jemand von ihr gehört oder sie gar gesehen...
Die Asen schleppen den toten Ymir bis in die Mitte der Schlucht Ginnungagap in die große Leere. Dort legen sie ihn wie einen Deckel über den Abgrund.
Hier erschaffen sie die Welt - aus der Leiche des Riesen.
Sein Blut wird zum Meer. Sein Fleisch zur Erde. Seine Gebeine werden zu Gebirgen und Klippen. Die Zähne und zersplitterte Knochenreste werden zu Steinen und Geröll. Die Haare zu Bäumen und Gras. Sein Gehirn werfen die Götter hoch in die Luft. Auf diese Weise entstehen die Wolken. Und der Himmel? Er entsteht aus seiner Schädeldecke..., die sie wie ein Gewölbe, eine Kuppel über alles Erschaffene stülpen. Danach fangen die Götter
Funken aus dem heißen Muspellsheim ein und setzen sie an den Himmel. Dort hängen sie jetzt und funkeln. Auf der Innenseite dessen, was einst des Riesen Ymir Schädel war... So wurden die Sterne erschaffen.
Aus Ymirs Leiche kriechen kleine Würmer. Sie sind der Ursprung der Zwerge, der Unterirdischen, die in Grotten und Höhlen leben. Die Asen wählen vier von ihnen, die das Himmelsgewölbe tragen, die vier Ecken der Welt bewachen sollen. Diese Zwerge heißen: Osten, Westen, Norden und Süden.
So bekommt alles Ziel und Sinn.
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Das Gesetz des Lebens
(Einige der unten aufgeführten Regeln mußten leider, wie viele andere Dinge auch, zwischen den Jahren 1936-1945 für nazionalsozialistische Zwecke herhalten !)
1.
Alles Leben wirkt nach Naturgesetzen. Uns offenbart sich das Göttliche in diesen ewigen, ehernen Gesetzen, gegendie zu verstoßen widersinnig ist.
Wir bekennen uns zu einem Leben im Einklang mit den Naturgesetzen.
2.
Kampf ist Teil des Lebens; er ist naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen. Jeder einzelne von uns wie unsere gesamte Art stehen in diesem Ringen.
Wir bekennen uns zu diesem nie endenden Lebenskampf.
3.
Die Menschanarten sind verschieden in Gestalt und Wesen. Diese Verschiedenheit ist sinnvolle Anpassung an die unterschiedlichen Naturräume.
Wir bekennen uns zur Erhaltung und Förderung unserer Menschenart als höchstem Lebensziel, denn auch sie ist eine Offenbarung des Göttlichen.
4.
Leib und Seele bilden eine Einheit.
Wir bekennen uns zu gleicher Wertschätzung von beidem.
5.
Unser Sein verdanken wir wesentlich Eltern und Ahnen.
Wir bekennen uns zur Verehrung unserer Ahnen und wollen ihr Andenken an kommende Geschlechter weiterreichen.
6.
Die Sonne erhält alles Leben auf dieser Erde. Himmel und Erde, Tier und Pflanze, Berg und Baum, Wind und Wasser sind uns Heimat; wir sind in die Natur eingebettet und können uns nicht ungestraft von ihr lösen.
Wir bekennen uns zur Sonnen- und Naturverehrung unserer Vorfahren und sehen die Umwelt nicht als eine der menschlichen Willkür unterworfenen Sache an.
7.
Sitte und Brauch sind Bestandteil jeder religiösen Gemeinschaft.
Wir bekennen uns zum germanischen Kulturerbe und dessen Weiterentwicklung.
8.
Unser Wille wird durch unser Wesen bestimmt. Es wird durch Erbanlage und Umwelt, Prägung und Erziehung geformt.
Wir bekennen uns zur Wertung des Menschen nach Haltung, Leistung und Bewährung.
9.
Schuldig kann jeder werden, schicksalsbedingt.
Wir bekennen, daß Schuld allein durch eigene Tat und Streben zum Guten zu sühnen ist.
10.
Schmerz und Leid weisen uns auf Gefahren hin und sollen Abwehrkräfte von Körper und Geist wecken. Sie bewirken Erschütterung, aber auch Gesundung.
Wir bekennen uns zu Schmerz und Leid als naturgegebenen Kräften und sehen sie nicht als Strafe irgendeiner überirdischen Macht.
11.
Ohne den Tod des Einzelwesens sind die Arten nicht lebens- und entwicklungsfähig.
Wir bekennen, daß der einzelmenschliche Tod nicht Strafe oder Erlösung aus einem angeblichen irdischen Jammertal, sondern Voraussetzung für das künftige Gedeihen unserer Art ist.
12.
Der Mensch ist unsterblich in den Nachkommen und Verwandten, die sein Erbe teilen. Nur sie können unsere von den Ahnen erhaltenen Anlagen verkörpern.
Wir bekennen, daß der höchste Sinn unseres Darseins die reine Weitergabe unseres Lebens ist.
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Leben und Tod
Was sollen wir Lebenden bei den Toten? Sollen wir klagen und weinen, während uns die Sonne des Lebens lacht!
Sollen wir nicht lieber jubeln und singen und unser Leben geniessen? Oder sollen wir in düsterer Verzagtheit an allem Leben verzweifeln und es für sinnlos halten, eingedenk dessen, dass wir doch früher oder später sterben müssen?
Wer den Tod nur als etwas Furchtbares sieht, der hat den Sinn des Lebens ebensowenig erkannt wie der, der das Leben nur als eitel Freude und Genuss sieht.
Leben und Tod sind ohne einander nicht zu denken. Es sind nur zwei Erscheinungsformen desselben ewigen Seins. Wir aber stehen in der Mitte aus Leben und Tod geschaffen als die Glieder einer grossen Kette. Wenn wir uns wirklich in der Mitte stehend fühlen, dann ist unser Leben nicht sinnlos, und dann ist der Tod nicht furchtbar.
Tausende sind vor uns gestorben, die auch einmal in der Mitte standen, und wenn wir recht zu leben verstehen, werden nach unserem Tod abermals Tausende in der Mitte stehen. Ist das nicht höchst sinnvoll ? Tausende haben vor uns mit Hand und Geist Werte geschaffen, waren vor uns treu und tapfer gewesen und sind nach einem mühevollen Leben, dessen Früchte uns in den Schoss fielen, gestorben. Andere haben ihr Leben im Kampf geopfert. Sie haben den Tod gewählt, um Leben zu schützen und zu halten. Hätten sie ihr Leben erhalten wollen, wäre der Tod das Los ihres Geschlechtes geworden. Ihrer gedenken wir mit besonderem Stolz, dass wir ihre Kinder und Enkel sein dürfen. Alle aber waren sie Menschen gewesen mit Vorzügen und Schwächen. Der Tod hat ihre Fehler getilgt, ihre Taten aber noch herrlicher gemacht.
Wir sind die Erben derer, die für uns gelebt und für uns gestorben sind. Wir tragen eine unermessliche Verantwortung dafür, dass wir uns ihrer würdig erweisen und noch mehr dafür, dass wir ihr Erbe nicht nur ungeschmälert, sondern noch vermehrt und geläutert weitergeben.
Ob wir leben und wie lange wir leben, ist nicht das Entscheidende, sondern dass wir uns in diesem Leben tapfer zeigen und eine tragfähige Brücke bilden zwischen der Vergangenheit und der Zukunft unseres Volkes.
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ODIN-der Gott
Odin, Wodan und die Dreiheit
Odin ist der - heute auch im deutschen und englischen Spachraum meistverbreitete - nordische Name des Gottes, der auf altdeutsch Wodan und auf altenglisch Voden heißt. Sein Name kommt vom Wort woð, wörtlich "Wut", das aber ursprünglich allgemein einen Zustand geistig-seelischer Erregung, Energiegeladenheit, Begeisterung und Ekstase bezeichnete, im besonderen aber den Zustand höheren Bewußtseins, den der Schamane und Seher (lat. vates) für seine Aufgaben braucht.
Odin ist der Gott der geistigen Kräfte, des Wissens und der Weisheit. Er ist Magier, Seher, Heiler, Dichter und Entdecker der Runen. Er zeigt sich in der Kraft von Wind und Sturm, im Rauschen der Wälder und allem, was geheimnisvoll mächtig ist. Er heißt Allvater (nord. Alföður), weil er der Vater der Götter und unser mythischer Urahn und Stammesgott ist, dessen Wesen wir eng verwandt sind. Er kennt und erfüllt das Schicksal der Menschen. Daher ist er auch der Gott des Todes, der unser aller Schicksal ist, der Führer der Totengeister und der Beherrscher des Krieges.
Durch seine geistige Überlegenheit als Schamane oder Druide ist Odin der höchste Gott und heißt "der Hohe" (Hár) oder einfach "der Ase" (hinn Áss). In seiner Souveränität ist er Geist, Wille und Weihe. Deshalb verehrten ihn unsere Vorfahren auch als Dreiheit - Odin, Vili und Vé. Andere Namen sind Odin, Hönir und Lodur. Die Dreiheit ist eine druidische Vision, die Einheit und Vielfalt einer Gottheit zugleich erhellt. Die Mutter Erde erschien den Druiden ebenfalls als Dreiheit.
Geburt und mythische Gestalt Odins
Im Mythos sind Odin, Vili und Vé bildhaft Drillinge, die ersten Götter, die als Söhne des Burr, dessen Vater aus dem Ur-Eis wuchs, und der Jötentochter Bestla geboren wurden. Nachdem die Drillinge die Welt geordnet und die Menschen beseelt haben, ist nur noch von Odin allein die Rede.
Odin ist von schöner, eindrucksvoller Gestalt, aber einäugig, weil er ein Auge geopfert hat, um aus der Quelle Mimirs Weisheit trinken zu können. Wenn er durch die Welt wandert, verbirgt er sein leeres Auge unter einem breitkrempigen Hut und ist in einen blauen Mantel geleidet. Er reitet den achtbeinigen Hengst Sleipnir und wird von zwei Wölfen, Geri und Freki, und zwei Raben, Huginn und Muninn, begleitet. Die Raben fliegen täglich durch
die Welt und bringen ihm Nachrichten.
Odins Wohnort in Asgard heißt Hliðskjálf (offener Turm) oder Glaðsheimur (Freudenheim). Hliðskjálf wird auch Odins Thron genannt. Von dort blickt er in die ganze Welt. Odin besitzt den Speer Gungnir, der nie sein Ziel verfehlt, und den Ring Draupnir, der sich in jeder neunten Nacht verneunfacht. Sein Gefolge sind 13 Geisterkriegerinnen, die Walküren (Valkyrjar), und die Seelen der gefallenen Krieger, die Einherier, die in Valhall wohnen.
Mit allen diesen Details haben die Dichter Odins Gestalt ausgeschmückt, um den Zuhörern ein Bild seiner Größe und Macht zu vermitteln, wie es der Kultur der Wikingerzeit entsprach. Sie sind aber nicht nur poetische Mittel, sondern auch Symbole: Mantel und Hut sind magische Verhüllungen, die das Geheimnisvolle ausdrücken, der
Speer ein magisches Instrument, die Neunzahl der Ringe Odins ein Symbol der Ganzheit, die Tiere alte Totems und schamanische Krafttiere, die Einäugigkeit Odins ein Hinweis auf das "innere Sehen” mit dem "Geistauge” (hugauga), die Walküren Geister des Schicksals, da sie auswählen, wer sterben soll, und Valhall ein Teil von Odins Aspekt als Totengott, der aber oft mißverstanden wird.
Der falsche Ruf Odins als Gott von Kampf und Krieg
Häufig liest man, die Vikinger hätten Odin als Gott von Kampf und Krieg verehrt. Das ist nicht richtig. Sie verehrten ihn - wie alle anderen Germanen auch - als Gott des Geistes und der Magie, als Schicksals- und Totengott und vor allem als höchsten Gott, der die Entscheidung über Krieg und Frieden trifft, Sieg und Niederlage bestimmt und damit Leben und Tod der Krieger in Händen hält. Es ist nur natürlich, daß die Wikingerkrieger diese Aspekte, die sie persönlich am meisten betrafen, besonders betonten. Doch auch in ihrer Sicht ist Odins Bereich nicht der Krieg als solcher, sondern das Schicksal, das sich im Krieg erfüllt - aber ebenso in anderen schicksalhaften Ereignissen. So ist Odin auch nicht nur der Gott der Gefallenen in Valhall, sondern allgemein der Totenführer, wie es der ältere Mythos der Wilden Jagd ausdrückt, in der alle Totengeister unter Führung Odins durch die Nacht reiten.
Odins Frauen und Kinder
In der poetischen Mythologie, die die Götter zum besseren Verständnis in den Begriffen der menschlichen Gesellschaft darstellt, haben sie Ehegatten und Kinder wie wir, doch diese Familienverhältnisse sind nur Bilder für Beziehungen, Wesensverwandtschaften und manchmal (wie in der Dreiheit) innere Vielfalten, die nie die ganze Wahrheit ausdrücken können. Man kann sie daher auch nicht mit menschlichen Sitten messen. Das gilt besonders für die Ehen der Götter. Odin ist verheiratet, hat aber - ähnlich wie der griechische Zeus und viele andere Götter - auch Beziehungen und Kinder mit anderen Frauen. Das hat seinen Grund in den verschiedenen Charakteren dieser Kinder, die mythisch als verschiedene Abstammungen dargestellt werden, und im eigenen Sinn jeder dieser Beziehungen.
Odin und Frigg - Oðr und Freyja
Die mythische Ehefrau Odins ist Frigg, deren altdeutscher Name Frija mit dem nordischen der Vanengöttin Freyja identisch ist. Auch in der Edda wird Frigg mit Freyja identifiziert. Beide Namen bedeuten "Frau" (im selben Sinn wie "Herr") oder "Geliebte" (vgl. "freien") und weisen Frigg und Freyja als verschiedene Personen der in allen heidnischen Religionen verehrten Großen Göttin mit den vielen Namen, der Mutter der Götter und Menschen, aus.
Manche sagen, es gibt nur eine Große Göttin, die sich aber in zahlreichen Gestalten zeigt, weil ihr Wesen so viele verschiedene Aspekte hat. Frigg verkörpert das Wesen der Mutter und Ehefrau, wird als Beschützerin der Frauen und der Ehe verehrt und ist überhaupt eine Göttin der Ordnung, besonders natürlich der Familien- und Sippenordnung, und der Verträge und Eide. Damit ist sie auch die Große Göttin der kosmischen Ordnung, die sich
im Sonnenlauf zeigt - Sunna heißt im Merseburger Zauberspruch eine ihrer Schwestern, zusammen mit Volla (Fülle) und Sinthgunt (Nachtwandlerin, d.h. Mond). Sie ist keine Sonnengöttin, aber die Göttin, der die Sonne heilig ist. Frigg und Odin sind die Eltern Baldurs.
Freyja ist die jugendliche Göttin der Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit. Ihr mythischer Gatte Oðr ("Geist") ist, wenn sie mit Frigg identisch ist, Odin in seiner Jugendgestalt: der noch reifende, suchende Geist, von dem daher auch erzählt wird, daß er fortging und von Freyja überall gesucht wurde. Aus den Tränen, die sie um ihn weinte, ist der Bernstein entstanden. Als Liebesgöttin im unmittelbaren, rein erotischen Sinn kümmert sich Freyja nicht um soziale Beziehungen und Ehebande. Sie ist auch eine Göttin der Weisen Frauen und hat die Asen (d.h. Odin) die magischen Künste der Vanen gelehrt.
Odin der Allvater
Der traditionelle Titel "Allvater" (nordisch Alföður) bedeute nicht nur, daß Odin der Vater der Götter ist - er ist vielmehr wie der griechische Zeus der "Vater der Götter und Menschen". Denn die heidnischen Naturreligionen wissen, daß wir, weil wir aus der heiligen und göttlichen Natur stammen, einen angeborenen Anteil am Göttlichen haben. Wir sind keine bloßen Geschöpfe, sondern Angehörige der Götter - von Geburt an und unabhängig davon,
ob wir "gut" sind. Das gilt natürlich nicht nur für einige Privilegierte: eine "Herrenrasse" oder ein "auserwähltes Volk" gibt es nicht - alle Menschen stammen von ihren Göttern ab. Odin, der höchste, ist daher unser Allvater, in dem wir unseren Ursprung im Göttlichen verehren. Im gleichen Sinn nannten die Kelten den höchsten Gott Teutates, d.h. Stammesvater.
Unsere Vorfahren waren überzeugt davon, daß wir von Odin abstammen und daher seine Wesensart teilen, zumindest was den Kern, die Tiefe unseres Selbst betrifft. Wir mögen nicht viel mit Magie am Hut haben oder auch anderen Zügen Odins eher fernstehen. Vielleicht sind uns andere Götter, z.B. Thor oder Freyja, viel sympathischer. Daran ist nichts auszusetzen. Wir sind Angehörige aller Götter. Das gemeinsame Erbe Odins ist aber unser gemeinsamer Auftrag: nicht aufzuhören, nach Erkenntnis, Tiefe und Entfaltung unseres wahren Selbst zu streben. Dabei ist es wichtig, an Odins Selbstopfer zu denken. Er ist der Gott, der nicht bleibt, was er ist, der sich von Stufe zu Stufe wandelt, reift und überwindet. Er warnt uns vor falschen Gewißheiten und fordert uns heraus, jede "feste Burg" starren Glaubens zu zerstören. In einem Traum erschien dem Autor dieser Seite einmal Odur als Rebell gegen Odin: Er selber bekämpfte sich selbst, um im Geist jung und offen zu bleiben.
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Von Alben bis Zwerge
Helle und dunkle Naturgeister: Alben und Zwerge
Wie die Jöten teilen sich auch die Alben (nordisch: Álfar) in zwei Gruppen, die in der Edda Lichtalben (Ljósálfar) und Schwarzalben (Svartálfar) genannt werden. Die Lichtsymbolik bezieht sich auf ihre förderliche oder schädliche Wesensart. Die Alben wurden von den Göttern geschaffen, um den Bau der Welt zu unterstützen. Ihr jeweiliger Wirkungsbereich ist eng, sowohl seiner Art nach als auch räumlich, z.B. fördern sie in einem bestimmten Wald das Wachstum der Bäume.
Auch die Schwarzalben sind im System des Kosmos wichtig. Sie sind chthonische (unterirdische) Wesen, die im Verborgenen wirken und daher als hinterlistig und oft boshaft, bildhaft als häßlich beschrieben werden. Sie sind meist gemeint, wenn man von Zwergen (nord. dvergar, althd. gizwerc) spricht. Menschen, die sie sehen können (und mit entsprechend geöffneten Sinnen kann das jeder, wenn sie gesehen werden wollen), nehmen sie meist als kleine Wesen wahr, denn klein ist ihr Wirkungsbereich, und so wirkt ihre Gegenwart auch auf uns.
Die Lichtalfen dagegen sind sehr schön, von sonnigem Gemüt und ehrlich. Sie zeigen sich auch als großgewachsene Erscheinungen, denn ihre förderliche Art strahlt aus und läßt sie in den Augen anderer Wesen wachsen. Lichtalben sind respektgebietende Lichterscheinungen, deren Anblick Freude und ein Gefühl der Geborgenheit in der von ihnen bewohnten Natur vermittelt. Wie die Zwerge sind sie scheu und entziehen sich gleich wieder der Wahrnehmung, aber sie üben eine große Anziehungskraft aus. So berichten besonders keltische Überlieferungen, daß Menschen in Ausnahmesituationen den Feen und Elfen, die in vielem den Alben gleichen, in die Anderswelt folgten und nicht wieder zurückfanden.
Alben in Mythen und Heldensagen
Da die Alben die Geheimnisse der Natur kennen und anwenden, werden sie in Mythen und Heldensagen als geschickt, kunstreich, zauberkundig und weise beschrieben. Besonders die Schmiedekunst, die ihre Werkstoffe aus dem verborgenen Alben-Wirkbereich im Erdinneren holt, ist ihnen nahe: Schmiede sind albische Menschen, Alben sind Schmiede. Sie fertigen für Götter und Menschen Schätze und magische Gegenstände, die sie aber oft nur widerstrebend hergeben. Helden, die Alben oder Zwergen Schätze abringen, sind historisch gesehen „Kulturheroen”, d.h. ihre Sagen erinnern an die Ursprünge der Kulturtechniken, die aus der Auseinandersetzung mit den Naturbereichen der Alben entstanden. Mit ihren Schätzen - Gold, heute auch Uran oder Erdöl - muß man vorsichtig sein, denn sie sind von ebenso zwiespältiger Art wie die Alben selbst. Oft liegt ein Fluch auf ihnen.
Vom Mythos zum Märchen
Aus den Jöten und Alben wurden die Riesen und Zwerge der Märchen, die sehr plakativ auf einzelne Merkmale wie die Roheit der Riesen und die Kleinheit der Zwerge reduziert sind. Manche Märchen sind Reste alter Mythen,
die in christlicher Zeit ungenau nacherzählt wurden, manche aber pure Fantasy, die es früher genauso gab wie heute. Wer die Märchen kleinen Kindern erzählte, mußte sie natürlich ihrem Niveau anpassen, sodaß die Stereotypen von Riesen und Zwergen immer kindlicher wurden. Wenn man das berücksichtigt, kann man aus
echten Märchen, die aus alten Mythen entstanden sind, durchaus etwas lernen. Auch die Edda enthält, wie jede mythische Dichtung, märchenhafte Elemente, die einfachen Menschen den Zugang zu den tieferen Inhalten erleichtern.
Das Alte Volk: Feen und Elfen
Die seit dem Mittelalter auch im deutschsprachigen Raum bekannten Feen und Elfen entstammen der britannisch-keltischen Tradition, aus der das Wort "Fees" (fairies) kommt. Die Feen sind Frauen, die Elfen die Männer ihres Volkes. In Irland bilden sie das Volk der Sidhe, das auch das Alte Volk genannt wird, denn sie lebten schon vor den Tuatha Dé Danann, dem Volk der Götter, in Irland. Heute bewohnen sie die ebenfalls sidhe genannten Hügel, die prähistorische Grabstätten und Kultorte sind. Die Iren haben offenbar die Erfahrung gemacht, daß die Geister der vorkeltischen Ureinwohner gemeinsam mit den Naturgeistern von der Art der Alben in der Erde ihres Landes weiterleben. Da es bei uns natürlich genauso ist, haben unsere Vorfahren die irischen Erzählungen übernommen.
In den Märchen wurden die Feen dann zu sehr kleinen, schmetterlingshaften Lichtwesen, doch die ursprünglichen Mythen und Sagen beschreiben sie wie die Lichtalben als groß, schön und strahlend. Als fördernde Naturgeister zeigen sie sich manchmal auf den Wiesen tanzend oder machen sich durch angenehme Düfte bemerkbar. Die Schönheit der Feen schlägt in vielen keltischen Sagen die Helden in ihren Bann, sie folgen ihnen in die Anderswelt und verbringen dort eine Zeit, die sie als sehr kurz empfinden, in Wirklickheit aber ist sie um ein Vielfaches länger als ein Menschenleben, und sie müssen bleiben oder bei der Rückkehr sterben.
Der Name Fairies dürfte vom lateinischen fatum, Schicksal, kommen. Die Feen wären dann auch mit den Nornen verwandt - oder mit schicksalskundigen Frauen (auch die Hexe heißt auf Isländisch norn) und damit den Priesterinnen des Alten Volkes. Solche Priesterinnen sind die Feen der Artus-Sage, die von Morgaine angeführt auf der Insel Avalon leben.
Der Erlkönig
Nach den Elfen oder den Elben (Alben) - die Wörter haben denselben Ursprung - heißt auch der Erlkönig, dessen norddeutsche Sage durch das Gedicht Goethes allgemein bekannt wurde. Sein Name kommt nicht von der Erle, sondern von den älteren Formen "Ellerkönig" und "Elberkönig". Die Erle paßt aber natürlich zu ihm, denn sie wächst an feuchten und daher oft nebligen Orten. Der Nebel ist nach keltischer Tradition der Zugang zur Anderswelt - eine Erfahrung, die Goethe ebenfalls anspricht: Das kranke Kind kann die Naturgeister sehen, der Vater mißdeutet sie als Täuschungen durch den Nebel. Tatsächlich täuscht Nebel aber nicht, sondern öffnet im Gegenteil die Sinne und schärft die Wahrnehmung - zwangsläufig, denn sie muß sich den erschwerten Bedingungen anpassen.
Der Erlkönig ist iaber nicht nur ein typischer Elf, dessen Anziehungskraft Menschen in die Anderswelt entführt, er ist besonders in der Form der Sage, die dem Gedicht zugrundeliegt, auch ein "Psychopompos" (Seelenführer), der das todkranke Kind ins Jenseits geleitet. So ist der Elfenkönig mit dem germanischen Totenführer, Odin, in der Erlkönig-Sage zu einer Person verschmolzen. Der König des Alten Volkes ist der Gott der Ahnen.
Die Entstehung der Menschen
Zwischen den heidnischen Mythen über die Herkunft der Menschen und den Lehren der Bibel und ähnlichen Systemen gibt es vier schwerwiegende Unterschiede: Erstens erkennen wir den Menschen als Teil der Natur, statt ihn „über” sie zu stellen, zweitens ist er nicht das Willkürprodukt und damit auch Eigentum eines Schöpfers, sondern ein freies Kind der Mutter Erde und der Götter, drittens sind Mann und Frau gleichwertig, nicht wie in der Bibel der Mann das göttliche Ebenbild und die Frau nur Beiwerk, und viertens sind wie die verschiedenen Geschlechter auch die Verschiedenheiten der Persönlichkeiten, der Rassen und Kulturen, der individuellen und gesellschaftlichen Lebensgestaltungen gleichwertig. Natur ist Vielfalt, jedes Wesen ist anders - einzigartig und von unwiederbringlichem Wert.
Unsere Herkunft aus der Natur
Das Wissen, daß wir von der Mutter Erde abstammen, ist so allgemein und auf Anhieb verständlich, daß es nicht näher erklärt werden muß. Auch die Eddadichter betrachteten es als Selbstverständlichkeit und erwähnten daher die Erdabstammung des Menschen nicht ausdrücklich. Ganz anders Tacitus, der seinen römischen Landsleuten genau schilderte, daß sich die Germanen als Kinder ihrer heimatlichen Erde fühlten.
Er berichtet von heiligen Liedern, in denen sie das erdgeborene Urwesen Tuisto oder Tuisco („der Zweifache”) besangen, das wie Ymir Mann und Frau zugleich war. Tuisto hatte einen Sohn mit Namen Mannus („der Mensch”), dieser wiederum drei Söhne, von denen die Völkergruppen der Ingväonen, Istävonen und Herminonen abstammen, die mythischen Urvölker der Germanen. Ähnliche Mythen gab es auch in Griechenland, dessen Ureinwohner stolz erklärten, ihre Stammesväter seien „autochthon”, von der Heimaterde selbst geboren worden.
Menschen und Bäume
Die Abstammung von Bäumen ist ein Mythos, der eine sehr klare Sprache spricht, wenn man von der Verwurzelung in der Erde ausgeht. So wie unser Tiertotem haben wir auch ein Baumtotem, die Esche, die Odin geweiht ist. Sie war schon ein gemeinsames indogermanisches Totem, denn ein griechischer Stamm, die Danaer, stammte von der Eschennymphe Melia ab. Aesc hieß ein mythischer Urahn der englischen Könige, Askr heißt in der Edda der erste Mann, der gemeinsam mit der ersten Frau, Embla (Ulme), in die Welt kam. Beide waren ursprünglich Bäume.
Drei Götter, eigentlich Odin in der Dreigestalt Odin-Hönir-Lodur, fanden die beiden Bäume angespült am Meeresstrand - Treibholz in den Wellen des Schicksals. Sie erfüllten die leblosen Stämme mit neuem Dasein. Odin gab ihnen den Atem des Lebens (nord. önd), Lodur Wärme (lá) und Gestalt (litr) und Hönir Geisteskraft (óðr).
Diese Geschenke der drei Götter sind einige Aspekte dessen, was man vereinfacht Seele und Geist nennt. Sie existieren nicht für sich allein, sondern sind Teil der Ganzheit des Lebens.
Diese Ganzheit heißt in unserer Tradition Heil (vgl. engl. whole, griech. holos). Sie muß wie ein Baum aus den Wurzeln wachsen und in die Höhe streben, sich ausbreiten und Früchte tragen. Heil im Sinn der heidnischen Religion ist kein bloßes Seelenheil, sondern die Entfaltung des ganzen Menschseins, zu dem auch die Verbindung zu Umwelt, Gemeinschaft, Göttern, Ahnen und Nachkommen gehört. Der Baum als mythischer Urahn des Menschen symbolisiert dieses Heilsein, das wir nicht demütig von einem despotischen Gott erbetteln müssen, sondern mit unseren Wurzeln von der Erde und mit der Sonne vom Himmel erhalten. Wie der Baum müssen wir eine Einheit von Wurzeln, Stamm und Krone sein: fest in unserem Ursprung verankert, wachsen wir zu Stärke und Größe.
Die Abstammung von den Göttern
Da wir aus der Natur stammen, die heilig und göttlich ist, haben wir einen natürlichen, angeborenen Anteil am Göttlichen. Die Heiligkeit unserer Mutter Erde lebt in uns, und wie sie sind auch die anderen Götter der Natur, der wir angehören, in uns lebendig. Wir sind keine bloßen Geschöpfe, sondern Angehörige der Götter, die um uns und in uns, unser Ursprung und unsere Ahnen sind. Wir stammen aus der Natur, das heißt: wir stammen von den Göttern ab.
Viele Mythen aller heidnischen Völker berichten davon, viele Anrufungen sprechen es aus, viele Riten feiern es. Odin heißt Allvater, weil er der „Vater der Götter und Menschen” ist, wie auch der griechische Zeus und der keltische Teutates. Den gleichen Sinn hat auch der Eddamythos, in dem Heimdall, ein Sohn Odins, die Urahnen der drei alten Ständen zeugt. Manche Sippen führten ihre Herkunft auch auf andere Götter zurück, z.B. die schwedischen Ynglinge auf Freyr, doch der meistverehrte Stammesgott aller Germanen ist Wodan/Odin - der Allvater eben, der dem ganzen Volk seinen Geist gegeben hat.
Alle Menschen stammen von ihren eigenen Göttern ab
Diese göttliche Abstammung ist kein Grund, überheblich zu sein, denn so wie von unseren stammen andere von ihren Göttern ab. In der Vielfalt der Erde gibt es überall andere Götter, und die Menschen, die dort leben, gehören
den Göttern ihrer Länder an. Wir alle haben auf je eigene Art Anteil am Göttlichen. Daraus leiten wir das gleiche Recht aller Menschen auf ihre eigenen Götter und die Verwirklichung ihres Wesens ab, und natürlich die gleiche Freiheit und Würde. Als Angehörige von Göttern sind wir alle frei geboren und bestimmt, niemandes Sklaven zu sein.
Eins und das gleiche sind das Geschlecht der Menschen und Götter. Von einer Mutter haben sie beide den Atem.” (Pindar)
Heilige Tiere und Bäume
Im Heidentum werden Tiere und Bäume nicht "angebetet", aber auch nicht als bloße "materielle Dinge" betrachtet, sondern als lebendige Wesen mit Geist und Seele erkannt, in denen sich das Göttliche in der Natur auf besondere Weise zeigt. "Alles ist voll von Göttern" - das Göttliche ist auch in uns und ebenso in den anderen Wesen, die wie wir ein Teil der heiligen Natur sind.
Bäume sind Heiligtümer
Der heidnische Baumkult umfaßt mehrere Aspekte, die zwar zusammengehören, aber jeder für sich bewußt sein sollten. Einer betrifft den Baum als lebendes Symbol oder besser Heiligtum einer Gottheit, der er geweiht ist, z.B. die Eiche dem Gott Thor. Hier verehren wir durch den Baum die Gottheit, deren Eigenschaften er in gewissem Maß spiegelt, ähnlich wie in menschengestaltigen Götterbildern nicht die Bilder selbst, sondern die dargestellten Götter verehrt werden.
Damit eng verbunden ist die Fähigkeit der Bäume überhaupt, uns göttliche Zusammenhänge und Lebensprinzipien zu vermitteln. Die Bäume reden mit uns, sagen die Indianer. Der deutsche Dichter Hermann Hesse schrieb: „Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert, das Urgesetz des Lebens.” Deshalb ist die traditionelle germanische und keltische Kultstätte der Wald, dessen Name im Keltischen (vidu) vom
Wort für Wissen (vid) kommt und im Germanischen mit woð, der gesteigerten Geisteskraft, von der Wodan (Odin) seinen Namen hat, zusammenhängt und im Englischen (wood) sogar identisch ist. Im Wald verehren wir die Götter und meditieren wir in der germanischen Tradition des "Draußensitzens" (útiseta).
Baumgeister
Wie alles Lebendige ist auch ein Baum ein geistiges Wesen, d.h. er besitzt genauso Geist wie ein Mensch oder Tier. Daß Pflanzen Gefühle haben und kommunizieren können, ist heute wissenschaftlich nachweisbar, doch dieser
Pflanzengeist hat naturgemäß eine ganz andere Struktur als unserer. Bäume haben keine menschlichen Gefühle, aber etwas, das wie unser Gefühlsleben abläuft. Unser Bewußtsein erlebt Pflanzengeister daher intuitiv „menschlich”. Ein so erlebter Baumgeist ist also kein „zusätzliches” Wesen, das den Baum bewohnt wie ein Vogel, sondern der Geist des Baumes selbst. Als Trägerinnen des Lebens sind die Baumgeister weiblich, in Griechenland Baumnymphen (Dryaden). Da weibliche Geistwesen germanisch Disen (nord. Disir) heißen, können wir sie Baumdisen nennen.
Magische Bäume
Viele Bäume sind auch deshalb heilig, weil sie heilende, Körper und Geist stärkende, reinigende oder magische Prozesse unterstützende Kräfte haben. Naturheilkunde und Magie sind nicht genau zu trennen, denn immer sind es
Naturkräfte, die eingesetzt werden, egal ob wir z.B. aus Lindenblüten einen Heiltee brauen, eine Eiche umarmen, um durch ihre Aura der Stärke gekräftigt zu werden (gut nach Erkrankungen), oder einen Kultplatz mit Haselstecken abgrenzen, um einen magischen Schutzkreis um ihn zu ziehen. Diese Kräfte sind keine irrealen
„Wunderkräfte”, sondern in der Natur der Bäume. Eiche, Esche und Eibe sind als Götterbäume, Repräsentanten des Weltbaums und Heilpflanzen die wichtigsten heiligen Bäume. Obwohl sie nicht wirklich ein Baum ist, zählen wir auch die Mistel dazu, die als Heilpflanze dient und von den Druiden "Allheil" genannt wurde. Die Runen heißen ebenfalls "Bäume". Die Kelten benutzten an ihrer Stelle das Ogham-Alphabet, dessen Zeichen durchgehend nach Bäumen benannt sind. Aus ihrer Reihenfolge ergibt sich der keltische Baumkalender.
Das Heidentum und die Tiere
In allen Naturreligionen haben Tiere große Bedeutung, denn sie stehen als individuell-persönliche Wesen dem Menschen am nächsten. Wir können sie bei entsprechender Bekanntschaft gut verstehen, haben viele Eigenschaften mit ihnen gemeinsam und können in ihnen unser eigenes Wesen oder bestimmte Züge davon
gespiegelt sehen. Diese Verwandtschaft hilft uns, die Einheit allen Lebens und mit ihr das Göttliche zu erkennen, das um uns und in uns zugleich ist.
Tiergötter und Göttertiere
Im Spiegel der Tiere zeigte sich unseren frühesten Vorfahren die Göttlichkeit der Natur, die sie sonst nur gestaltlos ahnen konnten, erstmals in klarer, verstehbarer Gestalt, und sie erfuhren in diesen verwandten Wesen auch die angeborene Göttlichkeit des eigenen Selbst. So erschienen die Götter zuerst in Tiergestalt: Sie offenbarten ihr Wesen beispielhaft in den Eigenschaften einiger Tierarten, die ihnen wesensverwandt sind.
Je klarer im Lauf der religiösen Entwicklung die Persönlichkeiten der Götter erkannt wurden, je differenzierter und feiner sie zu Bewußtsein traten, kurz: je näher unsere Vorfahren den Göttern kamen, umso mehr zeigten sie sich in
menschlicher Gestalt. Tiere können jetzt nur noch einzelne Aspekte einer Gottheit ausdrücken, deren ganzes Wesen in einer größeren, umfassenderen Vision erscheint. Sie werden die heiligen Tiere dieser Gottheit - man verehrt in ihnen die Gottheit, der sie geweiht sind.
Tiergestalten im Mythos
Während in archaischen Naturreligionen wie der indianischen kosmische Zusammenhänge sehr oft durch Tiermythen geschildert werden, in denen Tiere selbst die Hauptpersonen sind, kommen in den höherentwickelten Götterreligionen mythische Tiergestalten fast nur in Verbindung mit Gottheiten vor: als ihre Begleiter , die bestimmte Eigenschaften dieser Gottheiten verkörpern, und als Tiere, in die sich Götter im Mythos verwandeln und in deren Gestalten sie sich den Menschen zeigen. Tiergestalten, die keiner Gottheit zugeordnet sind, gibt es in
unseren Mythen selten. Sie sind eher symbolisch zu sehen wie die Tiere, die Yggdrasil bedrohen, die Wölfe der Finsternis, die Sonne und Mond verfolgen. oder die Ur-Kuh Audumla, die das mütterliche Lebensprinzip verkörpert. „Phantastische” Tiere wie der Drache verkörpern komplexe Inhalte, die ein „gewöhnliches” Tier nicht ausdrücken kann.
Krafttiere und Tiergeister
Da das Göttliche überall in der Natur ist, kann prinzipiell jedes Tier, das für dich eine besondere Bedeutung hat (aus welchen Gründen auch immer), ein heiliges Tier für dich sein. Für viele ist es das ererbte Totem des Stammes, nach germanischer Tradition meist das Pferd, oder ein Tier ihrer Lieblingsgottheit, z.B. Odins Rabe oder Freyjas Eber. Du kannst auch ein eigenes, ganz persönliches Totem haben, das dir wie den Indianern bei einer Visionssuche begegnen kann. Im Schamanismus werden manche Tiergeister als Krafttiere bezeichnet, d.h. sie sind imstande, die physischen, psychischen und geistigen, auch magischen Kräfte eines Menschen zu unterstützen, wenn er die richtige Art Kontakt mit ihnen aufnimmt. Man muß aber die Tiere gut kennen, um zu wissen, welche Kräfte sie wirklich in sich haben und weitergeben können. In den meisten Fällen sind es Wildtiere, deren Geist sich bei einer schamanischen Reise als Krafttier des Reisenden zu erkennen gibt.
Tieropfer
Unsere Vorfahren opferten Tiere auch den Göttern - ein Brauch, der früher durchaus gerechtfertigt war. Denn das Opfertier wurde in einem symbolischen Gemeinschaftsmahl mit den Göttern von der Festgemeinde verspeist, es schenkte Nahrung und spirituelle Energie zugleich. Das ist der eigentliche Sinn jedes Opfers: nicht die Hingabe von etwas Kostbarem, um „Demut zu zeigen”, sondern die Förderung der Lebenskraft. Schon immer mußten Tieropfer angst- und schmerzfrei sein, das Opfer galt als nicht angenommen, wenn das Tier litt oder zu fliehen versuchte.
Wir lehnen daher Tieropfer schon deshalb ab, weil die wenigsten Leute schlachten oder auch nur dabei zusehen können. In einer Zeit, da viele Tierarten bedroht sind und Schlachtvieh als "Sache" betrachtet und aus Profitgier gequält wird, wären Tieropfer auch ein falsches Signal. Das Heidentum muß beitragen, die Ehrfurcht vor dem Leben und die Anerkennung der Tiere als Mitwesen mit Geist und Seele zu fördern. Tieropfer sind auch nicht nötig, denn das wichtigste war immer schon das Trankopfer - und heute ist den Göttern, die das berohte Leben der Erde schützen wollen, Met erst recht lieber als Blut.
Geister der Gewässer
Das Wasser hat als Urelement des Lebens eine besondere Bedeutung. Es ist lebensspendend, reinigend, heilend und, da fließendes Wasser "redet", auch inspirierend für Dichter und Seher. Ein Teil von Odins Weisheit kommt aus der Quelle Mimirs, die Nornen wohnen an der Urdquelle. In Griechenland ist die Quelle, deren Wasser zum Dichter macht, die vom Flügelroß Pegasos geschlagene Hippukrene (Pferdequelle). Auch im germanisch-keltischen Raum sind Quellen in Form eines Hufabdrucks besonders heilig, da sie durch das Pferd, das ihm heilig ist, auch Beziehung zu Odin haben. Ostara ist ebenfalls eine Asengottheit, die mit dem Wasser zu tun hat. An sich aber ist das Wasser ein Element der Vanen und unter ihnen besonders mit Nerthus und Njörðr sowie mit Freyr verbunden.
Darüber hinaus hat das Wasser auch seine eigenen Naturgeister, die in den Quellen, Flüssen und Seen wohnen. Manche von ihnen gehören zu den Alben, manche zu den Disen und manche zu den Feen, manche werden als eine besondere Art von Geistern angesehen, von denen die weiblichen Nixen und die männlichen Nicker heißen. Sie haben meist keine Eigennamen, d.h. sind keine ausgeprägten Persönlichkeiten wie die eigentlichen, besonders von den Kelten in vielbesuchten Quellheiligtümern verehrten Wassergeister, die oft auch Quellgöttinnen genannt werden und zu den Disen gehören. Die meisten Flüsse haben ebenfalls weibliche Geister, viele aber, z.B. der Rhein oder der Inn, sind männlich. Es gibt allerdings auch dort an vielen Stellen Disen, Albinnen und Nixen wie die Rheintöchter oder die Lorelei. Die Donau ist der heilige Fluß der Ostara. Die keltisch-germanische Erfahrung ist hier differenzierter als die griechisch-römische, die Flüsse generell als männlich wahrnimmt. Gemeinsam ist die Verehrung weiblicher Quellgeister, die bei den Griechen Nymphen heißen. Viele Mythen gibt es über die Geister von stillstehenden Gewässern wie Seen, Teiche und Moortümpel, die je nach Art ihres Gewässers, mit dessen Charakter sie eins sind, freundlich oder verderblich für die Menschen wirken. Weltweit am bekanntesten ist die "Lady vom See" aus der Artus-Sage, eine Fee vom Charakter einer göttlichen Führerin, die Artus das Schwert Excalibur gibt - eine rituelle Waffe, deren Besitz sein Recht auf die Königswürde beweist - und Lancelot erzieht, der sich ihr zu Ehren "vom See" nennt. Die Lady vom See wird mit Morgaine, der Fee, gleichgesetzt, und mit der Fee Viviane, in die sich Merlin verliebt und von ihr für immer gefangengenommen wird.
Wald - Feld und Berggeister
Überall auf der Welt wird von Geistwesen erzählt, die im Wald, auf Bergen oder den Feldern leben und manchmal den Menschen erscheinen. All diese Erfahrungen werden heute als unrealistisch und unvernünftig abgetan, denn angeblich „wissen wir”, daß es Naturgeister nicht gibt. Das ist aber bloß eine Behauptung. Es müßte heißen: Wir wollen nur das real akzeptieren, was sich physikalisch messen läßt, und daher darf es in der Natur nichts anderes als Materie geben. Diese Ideologie, der Materialismus, ist aber längst überholt: Die Wissenschaft, die er vorschiebt, anerkennt heute die geistige Dimension der Natur und damit auch die Tatsache, daß es etwas Wirkliches ist, das sich in den Naturgeister-Mythen zeigt.
Was es ist, kann naturgemäß nur mythisch-bildhaft erfaßt werden, denn es ist klar, daß die Geistigkeit eines Waldes oder Berges von völlig anderer Art als die menschliche ist. Wir können sie uns eigentlich nicht vorstellen. Wenn wir ihr begegnen, reagiert unser Geist auf die ihm eigene Weise, d.h. durch Vergleiche mit Bekanntem. Alles Geistige erscheint uns, weil wir es von uns selbst am besten kennen, wie menschlich und nimmt daher in Vision und Mythos Gestalten an, die menschenähnlich, aber (weil der Unterschied auch erfaßt wird) nicht ganz menschlich sind wie z.B. beim Wilden Mann, einem alpinen Waldgeist, dem in England der Green Man entspricht.
Solche Geister sind den Alben ähnlich und werden manchmal - je nachdem, wie man sie erfährt - mit ihnen gleichgesetzt oder, wenn sie sich weniger individuell als die Alben zeigen, von ihnen unterschieden. Im letzteren Fall haben sie im allgemeinen keine eigenen Namen, denn sie sind keine individuellen Persönlichkeiten, sondern entstehen erst aus der Ganzheit einer ganzen Lebensgemeinschaft, wie es ein Wald ist. Sie tragen Gattungsbezeichnungen wie Schrate oder Wichte (nord. vættir). Besonders gut mit Naturgeistern vertraut sind die Isländer, die sie genau unterscheiden und lokalisieren können: Erst vor wenigen Jahren wurde eine Straße umgeplant, um eine Landgeisterwohnung zu schonen. Religiös verehrt werden diese Wesen nicht. Sie sind Erdbewohner wie wir und keine Götter. Wir respektieren sie aber wie alles Leben - sie sind Leben und Geist der Dinge, in denen sie sind. Wer ein Feld aberntet, tötet dabei die Korngeister. Das ist unausweichlich, sollte uns aber, wenn uns die Natur heilig ist, bewußt sein. Im Mythos von Óðrörir berichtet die Edda davon in einer Szene, in der Odin scheinbar grundlos neun Ernteknechte tötet. Er wirft seinen Wetzstein in die Luft, sie greifen danach und köpfen sich gegenseitig mit ihren Sensen. Diese Geschichte ergibt nur Sinn, wenn die Knechte die Korngeister sind, die bei der Ernte sterben müssen. Sie erinnert an den alten Brauch, ein paar Ähren (neun als Symbol der Ganzheit) stehen zu lassen - als Futter für Wodes (Wodans=Odins) Pferd, wie es in Norddeutschland heißt.
Ragnarök - die Götterdämmerung
Ragnarök (auch Ragnarok) - die Götterdämmerung Unsere Dichter wußten vieles darüber, wie die Götter - Asen aus der Familie Odins und Vanen, die die Mutter Erde als zweiten Götterstamm hervorbrachte - in die Welt kamen, ihre Wohnsitze einrichteten und die Fähigkeiten und Werkzeuge erwarben, die sie besitzen. Das alles, ebenso wie der Kampf zwischen Asen und Vanen, der mit ihrer Versöhnung und Vereinigung zu einer höheren Ganzheit endete, wird in verschiedenen Gedichten und Erzählungen der Edda beschrieben.
Das älteste und heiligste Edda-Gedicht Völuspá aber, die Weissagung der Seherin, berichtet über das ganze Schicksal des Kosmos, vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ende.
Denn wie alles Lebendige unterliegen auch Yggdrasil und seine Welten dem ewigen, allumfassenden Kreislauf des Werdens und Vergehens, der auch das Schicksal der Götter, der Beratenden (nord. regin), ist. Das bedeutet ursprünglich das Wort Ragnarök, das auch in der Abwandlung Ragnarökr, „Götterdämmerung”, vorkommt.
Von christlichen Endzeitlehren unterscheidet sich die Ragnarök-Vision vor allem dadurch, daß sie einen natürlichen Prozeß beschreibt, wie es auch die Wissenschaft in der Theorie vom pulsierenden Universum tut, und kein göttliches Strafgericht über die „böse Welt”. So ist die mythische Verbindung Ragnaröks mit der Schuld, die Götter und Menschen auf sich geladen haben, nicht moralisch zu verstehen, sondern als Erkenntnis eines Naturgesetzes: Leben - jedenfalls in höherer Form - kann nur auf Kosten anderen Lebens existieren, Erfolg und Sieg für die eine Seite bedeutet Nachteil und Niederlage für die andere. Das ist nun einmal so. Wir müssen damit leben - aber wir sollten bewußt damit leben.
Die Edda beschreibt Ragnarök als Ausbruch der zerstörenden und dunklen Kräfte: Gefesselte Jöten und Ungeheuer reißen sich los, Totengeister, die keine Ruhe finden, brechen hervor, der Feuergeist Surtur steckt mit den Flammen aus Muspellheim die Welt in Brand. Im Kampf gegen diese Kräfte fallen die Götter: der Wolf Fenrir verschlingt Odin, Thor erliegt dem Gift der Midgardschlange, Surtur tötet Freyr. Die Sonne wird schwarz, die Erde sinkt ins Meer, zurück in den Urzustand des Chaos.
Doch aus ihm entsteht ein neuer Kosmos, den die Söhne der Götter - Baldur und Hödur versöhnt - neu einrichten. Diese Welt ist schön und rein, hell und fruchtbar, die Welt eines neuen Anfangs. Aber auch sie trägt den Keim des Verderbens in sich. Erneut kommt der dunkle Drache geflogen, bringt den unausweichlichen Tod allen Lebens mit sich. Ein neuer Kreislauf beginnt.
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(weitere Eintragungen folgen)